Lotto-Express Sonderzug Hamburg-Glückstadt
19.4.1987:Seit sieben Jahren wird bei Walter Deisel im hessischen Wolfshagen jede Woche Lotto und Toto gespielt. Wann er zuletzt einen Wettschein für das Rennquintett abgestempelt hat, daran kann er sich nicht mehr erinnern.Früher hätten »vereinzelt Reisende aus dem Ruhrpott mal so eine Wette« abgegeben, doch einen Rennquintett-Schein »mit einheimischer Adresse hab’ich, glaube ich, überhaupt noch nie gesehen«.
So wie Deisel geht es vielen seiner Kollegen in den 21169 Lottoannahmestellen der Bundesrepublik. Die Pferdewette Rennquintett will kaum einer mehr spielen. m Während im vergangenen Jahr an den Totalisatoren der Trabrennbahnen 355,7 Millionen Mark und der Galopprennbahnen 172,6 Millionen Mark umgesetzt wurden, brachte es das lahmende Rennquintett nur auf 7,9 Millionen Mark (Lottoumsatz: 6,2 Milliarden)
Und in den ersten zehn Wochen dieses Jahres rutschte der Mini-Umsatz noch einmal um 40 Prozent ab. Falls er unter vier Millionen Mark sackt, so Theodor Schwefer, Geschäftsführer der Westdeutschen Lotterie GmbH in Köln, »wäre die ökonomische Grenze der Pferde wette erreicht«.
Dabei hatten alle Beteiligten bei der Einführung des Rennquintetts im Jahr 1971 von großen Gewinnen geträumt, die Lottogesellschaften von zusätzlichen Millionen, die Rennvereine von Geld und kostenloser Public Relation durch zahlreiche Fernsehübertragungen der Rennen.
Die Wette war so konzipiert, daß sie Galoppern und Trabern aus dem Millionenheer der Lottospieler neue Fans zuführen sollte, ohne daß diese die Rennbahn besuchen mußten. Der Wetter kreuzte auf seinem Schein von 18 Startnummern fünf an, pro Tip hatte er zwei Siegchancen.
Einmal, wenn die Pferde tatsächlich in der vorhergesagten Reihenfolge durchs Ziel gingen (Pferdetoto). Zum anderen wurde jedem Pferd eine Nummer zugelost, der Einlauf ergab eine zweite, zufällige Zahlenfolge (Pferdelotto). So hatten sowohl Leute mit Pferdeverstand als auch Glückskinder Aussicht auf Gewinn.
Tatsächlich setzten viele Lottokunden auf die neue Laien- Chance. Aber auch fachkundige Zocker riskierten schon mal einen oder zwei Tausender, um den Jackpot zu knacken.
Die Jahresumsätze des Rennquintetts kletterten bis 1978 auf 66,5 Millionen Mark, viermal holten Wetter jeweils rund 1,5 Millionen Mark aus dem Jackpot. Den Höchstgewinn von 2993243 Mark kassierte 1981 ein Zocker aus Nordrhein-Westfalen.
Weil aber die Erwartungen immer noch höher waren als die Umsätze, wurde experimentiert, der Wettmodus bislang fünfmal verändert. Eine abermalige Umstrukturierung wird derzeit erwogen. Die jetzt gültige Formel heißt »2 x 3 aus 15« und beinhaltet eine reine Pferdewette, bei der das Lotto- Element völlig fehlt und die ein Laie kaum mehr durchschaut. Es gilt, den richtigen Einlauf der ersten drei von 15 Startern zu tippen – in zwei Rennen pro Wochenende, meist in einem Galopp – und einem Trabrennen.
In Scharen sprangen die Nichtfachleute ab, die das Rennquintett eigentlich zu Pferdefreunden machen sollte. Auch die Profis verloren das Interesse. Sie wetten, da die Quoten immer mickriger geworden sind, lieber auf der Bahn.
Dort ist mehr zu verdienen. So gab es zum Beispiel bei einem Rennen in Hannover im Rennquintett für zwei Mark Einsatz 818,20 Mark, der richtige Tip in der vergleichbaren Dreierwette am Bahn- Totalisator brachte dagegen für zehn Mark Einsatz 36720 Mark.
Während bei der Bahnwette 75 Prozent des Umsatzes wieder an die Wetter zurückfließen, sind es beim Rennquintett nur 50 Prozent. Der Wochenumsatz des Rennquintetts liegt derzeit im gesamten Bundesgebiet bei rund 100000 Mark, der jeweilige Bahnumsatz für das Rennen ist oft höher. Dazu kommt, daß im Rennquintett die ausgeschüttete Summe auf fünf Gewinnränge verteilt wird, wogegen am Totalisator nur kassiert, wer den Einlauf der ersten drei Pferde in der richtigen Reihenfolge getippt hat. So ist die Erfolgschance zwar geringer, der zu gewinnende Betrag aber ungleich höher.
Doch zumindest die Rennvereine mögen noch nicht aussteigen. Einmal, so Hans Heinrich von Loeper, Generalsekretär des Direktoriums für Vollblutzucht und Rennen, weil »die Rennquintett-Rennen auf den Bahnen gut angenommen werden, fast immer den höchsten Tagesumsatz erzielen«.
Zum anderen, weil die Organisationskosten derzeit immer noch niedriger sind als die Mini- Erträge. Galopper und Traber partizipieren an den Umsätzen der Lottogesellschaften aus dem Rennquintett, bis zum Jahresende 1986 kassierten sie insgesamt 76,4 Millionen Mark. Allerdings ist bei anhaltendem Trend das Ende abzusehen. Im vergangenen Jahr mußten sich die Galopper mit 380000 Mark begnügen, für die Traber blieben noch 210000 Mark.
Auch wenn Schwefer »angesichts des Abgras-Effektes neu eingeführter Lotterien wie etwa Rubbellose eine gewisse Verpflichtung für die Traditionswette« verspürt: An Zusatzgeschäften dürften die Kaufleute in den Lotto- Zentralen schwerlich interessiert sein.
In Bremen war die Tradition schon nicht mehr zu bezahlen. Weil der Wochenumsatz unter 1000 Mark gesunken war, wurde das Rennquintett eingestellt. So erklärte der Sprecher des Hessen- Lottos, Wolf- Dieter Schaller: »Wir spielen eh“ nur noch aus Pietät mit.«